Zwei Tage eher mühsamen Vornakommens liegen hinter uns.
Gestern morgen musste der für 9:00 bestellte Schleusenwärter wohl erst von der VNF geweckt werden, nachdem wir um 9:20 mal angerufen haben. Kaum war es 9:40, war er auch schon zur Stelle. Mit sehr verpenntem Gesicht. Und der lahmste Schleusenwärter ganz Frankreichs. Und der uninteressierteste. Nicht nur machte er seine Schritte um die Schleuse herum in extrem schlurfendem Gang, nein, er hatte auch für alle Arbeitsgänge nur eine Hand zur Verfügung und gar keine Augen. Denn er hat ohne Pause auf seine beiden Handies gestarrt. Wir hätten uns durchaus amüsiert, wenn er aus versehen über einen Poller gestolpert und ins Wasser gefallen wäre. So war denn das Vormittagsziel natürlich nicht erreichbar. Zum Glück wurde er schon nach zwei Schleusungen abgelöst, von einem sehr bemühten, sehr freundlichen und herzlichen, hilfsbereiten Team aus zwei jungen Frauen. Trotzdem blieben so zwei Schleusen übrig, die wir erst nach der Mittagspause hinter uns bringen konnten.
Spätestens als sie uns baten, den Schauer vor der Weiterfahrt aus der Schleuse abzuwarten, und wir dem erfreut zustimmten, waren wir dann Freunde: Die stehen ja nicht nur die ganze Zeit draußen, sondern müssen dann auch noch per Motorroller mitfahren. Und es war ein echter Sturzregen, der da niederging, mit Gewitterblitz und -donner dazwischen.
Es ist schon sehr faszinierend, so häufig wechselnd Menschen zu erleben, die auf so unterschiedliche Weise die exakt gleiche Aufgabe mit exakt gleichen Handgriffen und Arbeitsschritten zu erledigen haben.
Dieses nette Team, heute noch ergänzt um einen ebenfalls sehr netten jungen Mann, hat uns dann eineinhalb Tage begleitet, und so sind wir heute wohlbehalten in der „Capitale de Moutarde“ angekommen, in Dijon.
Doch halt, ab Schleuse 46, so hatte auch die VNF in ihren per Email abbonierten Meldungen bekannt gemacht, war ja noch ein Wald. Einer unter Wasser. Ja, die Algen sind zurück. Interessant eigentlich: In den höheren Haltungen gab es fast keine, jetzt, wo wir wieder viel weiter unten sind, kommt es mit Macht zurück. Ein möglicher Zusammenhang: In den höheren Lagen steht das Wasser ja weitgehend im Kanal, wird nur aus den Reservoirs gespeist und ist total trübe. In den tieferen Lagen erfolgt die Speisung aus den das Tal begleitenden Flüssen, Yonne-seitig aus dem Armançon, Saone-seitig aus der Ouche. Hier ist nun immer etwas Strömung, und das Wasser ist total klar, so fällt viel mehr Licht hinein.
Ob die Entenküken hier jemals schwimmen lernen? Auf dem letzten Bild ist zu sehen, was wir nach genau 2km Fahrt aus unserem Seewasserfilter herausholen.
Aber wir kommen zurecht. Unser starker Motor bewährt sich und schiebt uns durch. Aus einer Schleuse kommen wir zwar kaum heraus: Ich gebe immer mehr Gas, und trotzdem schaffen wir mitten im Ausfahrttor nicht mal mehr 1 km/h. Doch schließlich sind wir auch da draußen. Häufig ist auch das Hineinfahren schwierig, denn die Algen werden ja mit der minimalen Strömung, die auch im Kanal über die Schleusen hinuntergeht, mitbewegt und stauen sich gerade vor den Schleusen.
Was im Übrigen auch zur Folge hat, dass die netten Eclusieres die Tore manchmal gar nicht aufgedrückt bekommen – sie klappen sich ja zwecks hindernisfreier Durchfahrt in eine Mauernische, wenn die aber voller Algen ist, bekommen sie das Tor nicht hineingedrückt. Dann steht es etwas heraus – besonders angenehm für das Manövrieren, denn es sind ja beidseitig nur 50cm Platz, das Steuern geht auch nicht so wie in freiem Wasser, und der Bugstrahler ist nur mit ganz langsamen Drehzahlen nutzbar, da ja auch er sich durch die Algen fressen muss.
An unserem heutigen Mittagsliegeplatz hatte ich noch ein interessantes Gespräch mit einem Hotelpenichenkapitän, der gerade mit seiner Mannschaft sein Schiff strich. Die legen jetzt, nach Aufhebung der Coronabeschränkungen, nach und nach alle los. Der hat noch berichtet, dass die Mietboote es oft nicht über den Algenstau in den Schleuseneinfahrten schaffen, die haben ca. 40PS, schieben sich dagegen, heben sich vorn etwas drauf, und komme nicht mehr weiter. Sie müssen ihre Fahrt dann abbrechen. Es soll aber Richtung St.-Jean-de-Losne irgendwann auch wieder besser werden. Das deckt sich mit der Angabe der Eclusiere und der VNF-Meldung. Noch 11 Schleusen, danach wieder etwas freieres Wasser… Heute davon noch fünf.
Das ganze Algenproblem ist im letzten Jahr erst richtig eskaliert – weil nämlich wegen Corona gar kein Bootsverkehr unterwegs war. Und der, besonders auch die großen Hotelpenichen, ist immer noch das wirksamste Mittel, zumindestens eine Fahrrinne etwas freier zu halten. Der Hotelpenichenkapitän tippt, dass es dieses Jahr nicht mal mehr bis August gehen wird.
So sieht das übrigens aus, wenn die Penichen vorbereitet werden. Bei 60.000€ Tagespauschale kann man schon ein jedes Jahr frisch gemalertes Schiff erwarten. Die Schleifenden und Malenden bewegen sich übrigens in ihren kleinen Nussschalen mittels eines Handmagneten an ihrem Schiff entlang!
Die Kunden sind tatsächlich, wie wir schon vermutet hatten, zu 95% Amerikaner, die die Romantik des good old Europe in Frankreich suchen, die gute französische Küche schätzen, sich von Namen wie Champagne locken lassen, und hinterher was ganz besonderes zu erzählen haben. Es gibt aber auch richtige Stammkunden, die Familie, mit der sie in diese Saison starten, fährt schon zum 12. Mal mit ihnen, dieses mal gleich zwei Wochen, eine „en Famille“, eine mit Freunden.
Lieber nicht nachrechnen, was die zwei Wochen kosten… Und dafür fahren sie nicht mal durch den Tunnel! Da passen die Hotelpenichen nämlich gar nicht durch. Wenn sie mal eine Überführungsfahrt machen müssen, lassen sie sich mindestens 10 Tonnen Sand in Säcken aufladen, um tiefer im Wasser zu liegen.
Wir haben den schönsten Teil des Kanals hinter uns gelassen, man merkt, dass man sich der Großstadt nähert, Straßen und Bahnen begleiten das Tal, die vierspurige Schnellstraße teilweise direkt am Kanalufer, und die Passanten grüßen und winken nicht mehr.
Und nachdem in der Höhenlage vor und hinter dem Tunnel die Infrastruktur, Kais, Stromversorgung, ganz gut in Ordnung war, kümmert sich hier wieder niemand mehr drum. Die „Anlegestellen“ sind oft nur ein paar übriggebliebene Poller, die Anlagen zur Stromversorgung sind teilweise abgebaut oder nicht mehr in Betrieb. Selbst in Dijon kümmert sich niemand mehr um den Stadthafen, in diesem Falle zu unserem Vorteil, denn die Stromsäulen sind in Betrieb, nur die Technik, die dafür sorg, dass man erst mal für den Strom bezahlen muss, ist kaputt. Prima – denn nach vier Tagen ohne Strom von außen brauchen wir mal wieder ein paar Ampèrestunden. Bei diesem langsamen Getucker und ständigen Motorausschalten bringt das Fahren nicht viel Ladung herein.

Der Anleger der letzten Nacht, laut unserem Buch (Stand vor 10 Jahren) mit „allen Services“, bot nur noch einen Papierkorb und zwei Eisenringe. Und Platz für genau ein Boot. Dafür allerdings war ein Colruyt-Supermarkt direkt daneben – zwar nur die Rückseite, aber wir können mit dem Einkaufswagen ans Boot.
Trotzdem ist die Perspektive vom Wasser aus natürlich immer noch und immer wieder sehr schön:
Die Niagara, auch eine Hotelpeniche, steht übrigens zum Verkauf, erzählt uns der österreichische Eigner, der gerade letzte Hand vor einem Kaufinteressentenbesuch anlegte. Nein, wir haben nicht nach dem Preis gefragt, auch nicht nach dem der anderen, die er ebenfalls zu verkaufen hat, oder dem Schloss, das er auch verkaufen will.
Was uns immer mal wieder auf dem Wasser auffiel, bestätigt sich auch hier – hier stoßen sehr verschiedene Lebenswelten sehr nah und zwanglos aufeinander…
So, die Ausgangssperre in Frankreich ist auf 23:00 erweitert, Gastronomie wieder eröffnet, Konzerte wieder zugelassen (-Tage-Inzidenz irgendwo bei 68, naja, aber die Infektionsrate ist immer noch bei über 8%. Wenn das nur gut geht. Und so ist denn gleich gegenüber unseres allerdings für eine Großstadt sehr idyllischen Liegeplatzes bei einer Veranstaltungspeniche das vermutlich erste Livekonzert des Jahres. Ausgerechnet Punkrock… Vorbei die ruhigen Nächte in einem früh schlafen gegangenen Frankreich? Nein, was das Konzert betrifft, sie spielen nur von acht bis neun. Update vom folgenden morgen: Ja, was das Liegen in der Stadt betrifft, besonders diese Motorrafahrer, Inbegriff der Rücksichtslosigkeit, rasen mit aufkreischenden Drehzahlen selbst mitten in der Nacht durch die Stadt, mitunter sogar auf der Uferpromenade des Parks, an dem wir liegen. Was treibt die nur um?
Der Liegeplatz in Dijon ist ein überraschend schöner Innenstadt-Liegeplatz, der Kanal zu einem See mit Insel erweitert, das ganze inmitten eines kleinen Parkes, Enten, Schwäne, Blesshühner und ein Nutria schwimmen vorbei.
Eine Fahrrad-Stadtrunde zeigt, das Fahrradfahren in französischen Städten nach wie vor einem Selbstmord gleichkommt. Die Stadt ist beeindruckend, weist viel sehr repräsentative Bauten und Anlagen auf, ein bisschen wie Paris im Mßstab 1:2… Es gibt einen Place de la Republic, einen großen Kreisverkehr, bei dem die Einfahrenden Vorfahrt haben, einen Triumphbogen, ein großes Kunstmuseum, große Parks mit barocken Wasserspielen. Statt einer Metro allerdings „nur“ ein sehr modernes Straßenbahn- und Busnetz, inklusiver zweier Innenstadtlinien mit niedlichen schuhkartonförmigen glubschäugigen elektrisch betriebenen Kleinbusse, in denen die Mitfahrt kostenlos ist.
Noch zwei Tage, ca. 30km, ca. 20 Schleusen, dann ist der Kanal geschafft!