Gleich kommt unser Allzeit-Geschwindigkeitsrekort!
Aber erst mal geht es durch Emden hinaus auf die Ems. Wieder mal ändert sich der Maßstab von ganz klein auf ganz groß… Doch erst mal müssen noch mehrere Brücken geöffnet werden, vom Binnen- zum Außenhafen gleich drei beieinander, für Fahrräder, für die Eisenbahn und für die Straße. Die Eisenbahn ist eine elektrifizierte Strecke, da wird auch die Oberleitung mit aufgehoben.
In der Werft, die wir an Backbord passieren, erwischen wir die Roald Amundsen, deren Betreiberverein regelmäßig bei uns im AntoniQ getagt hat. Sie haben mir auch die Kartennavigation für den Sportbootführerschein See beigebracht.
Schon an der Stromkaje liegt so ein riesiger Autotransporter, der ungefähr 12.000 VW’s exportiert. In Bremerhaven gingen jeden Tag 2 bis 3 solcher Kolosse ein und aus, mit allen Im- und Exportmarken – wie oft VW hier eine Ladung losschickt, weiß ich nicht.
Wir sind dann gleich „links“ abgebogen und die Ems aufwärts gefahren. Natürlich wieder mit der auflaufenden Tide. Offensichtlich läuft die mit bis zu 8 km/h, so dass unser GPS-Tacho auf einmal 19 km/h anzeigte. Als die Ems schmaler wurde und eher Flusscharakter bekam, sah das beim Blick auf das Ufer echt schnell aus!
Doch bevor er schmal wird, passieren wir das Sperrwerk Gandersum. Dieses wurde um die Jahrtausendwende errichtet, weitgehend mit Mitteln des Küstenschutzes finanziert, mit der Begründung, dass man sich dann nicht mehr mit den Deichen im weiteren Emsverlauf beschäftigen muss. Das ist sicher so, aber das Interesse dahinter war ein anderes – zwei Stunden flussaufwärts werden die größten Kreuzfahrtschiffe gebaut. In der Meyer-Werft. Josef Meyer muss ein unternehmerisches Genie sein, bietet er doch seit Jahrzehnten den Billigkonkurrenten des fernen Ostens die Stirn und holt einen Auftrag nach dem anderen, während ein großer Teil der deutschen Werften schließt oder an Chinesen oder Russen verkauft wird…
Da er seine Schiffe irgendwie ins Meer schaffen muss, braucht er aber eine tiefe Ems. Oder eben eine hohe: Mit dem Sperrwerk Gandersum kann der Pegel der Ems um mehrere Meter angehoben werden. Damals, als es um die Finanzierung ging, wurde dieses Interesse noch abgestritten, um die Finanzierung aus Küstenschutzmitteln nicht zu gefährden – die dann natürlich anderswo fehlten, weshalb andere Küstenregionen wie die Wesermarsch, in der ich seinerzeit wohnte, sich gegen das Sperrwerk stellten. Aber Herrn Meyers politische Verbindungen waren besser…
Nun gibt es also das Sperrwerk. Ausgebaggert wird die Ems dennoch, wir haben gleich zwei Baggerschiffe passiert. Der Baggerschlick wird an Land auf Deponieen gepumpt. Das fatale ist, dass mit der Vertiefung die Flut schneller hereinströmt (siehe Geschwindigkeitsrekord), die Ebbe aber nicht schneller hinaus, mit der Folge, dass das hineinspülende Sediment genug Muße hat, sich abzusetzen, und so die Baggerungen zunichte zu machen. Ein fataler Kreislauf. Dem man aktuell durch Tricks mit dem Sperrwerk zu begegnen versucht, in dem man es bei Hochwasser schließt, um dann vier Stunden danach das Wasser so richtig hinausschießen zu lassen. All das finanziert der Steuerzahler…
Die Ems ist durch das ständige Baggern und all die Eingriffe biologisch nahezu tot, das Wasser eine einzige grau.braune Schlammbrühe, nach dem Passieren der Schleuse Herbrum, mit der man in das Süßwasser gehoben wird, packen die Binnenschiffsbesatzungen Schrubber und Schlauch aus und putzen den gesamten Schiffsrumpf. Das alles wird von Meyer und den örtlichen Industrie- und Gewerbevertretern billigend in Kauf genommen. Und das, obwohl man Herrn Meyer damals sogar für sehr wenig Geld ein Werftgelände direkt in Emden angeboten hatte. Doch er „stand zum Standort Papenburg“:..
Hier das Sperrwerk und die Meyer-Werft:
Der Klotz rechts vor der Halle ist ein Mittelstück eines Kreuzfahrtschiffes – die ganz großen werden hier in Segmenten gebaut, vollständig mit Türen, Leitungen, Ausstattung. Die Segmente werden dann in Emden zusammengeschweißt. Das ist wirklich Ingenieurskunst!
Schließlich erreichen wir die Schleuse Herbrum, und wieder ändert sich alles: Plötzlich wieder ruhiges, zwar torfig-braunes, aber doch sauberes, genmächlich fließendes Wasser. Wir dürfen hinter der dritten Schleuse „Düthe“ am Wartesteig übernachten, am nächsten Tag lassen wir in Lathen unseren Besuch Tino an Land und fahren noch bis Haren/Ems. Dort schleusen wir noch in den Haren-Rütenbrok-Kanal ein und dürfen wieder am Wartesteg übernachten.
Heute haben wir dann am Ende des Kanals Holland erreicht.
Und gleich begann das Abenteuer… Hier sind die Kanäle noch kleiner. Und auch die Schleusen: Gleich die erste war ein echtes Abenteuer. Wir freuten uns, alleine in der Kammer zu liegen – da hätte auch höchstens noch eines mit hineingepasst – neben, nicht hinter uns, die Schleusenkammern sind bauchig erweitert, jedoch kaum länger als wir, so dass wir in der Kammer seitlich „einparken“ müssen.
Ehe wir’s uns versahen, kam von hinten noch ein Bootskonvoi aus Ter Apel. Das erste Schiff drängte sich hinter uns vorbei und parkte seitlich nach rechts ein. Nun gut. Ein zweites legte sich noch dahinter (beide waren nur ca. 8m lang). Die nächsten zwei Boote kriegen dann die nächste Schleusung? Mitnichten. Nun fuhr ein sehr großes, schweres, altes Stahlboot, ca. 18m lang, ein und schob sich zwischen uns. Fest machen musste es sich dann an den Pollern unseres Bootes, so dass wir nun mit unseren Landleinen ca. 40 oder 50to Schiff zu halten hatten. Nun geht’s los? Mitnichten. Der Schleusenmeister kam zu uns und fragte, ob wir noch einen halben Meter nach vorn könnten? Nun gut, bis zur Mauer, die die Ausbauchung abschloss, waren ja noch 80cm. So haben wir uns und das schwere Boot mit unseren Tauen noch ein wenig nach vorn gezogen, und so passte auch noch das letzte Boot, ein englisches Narrowboot, sehr hübsch und voller Blumenkästen, irgendwie schräg dahinter. Endlich konnte geschleust werden. Da der dicke Pott in der Mitte nun genau im Strom des einlaufendes Wassers lag, zerrte der natürlich mit großer Kraft an unserem Boot, ich musste mich mit dem gesamten Körpergewicht gegen die um die Poller gelegten Leinenenden stemmen, um das irgendwie zu halten. Nach zehn Minuten war es geschafft, die Leinen hatten gehalten, und mir lief der nasse Schweiß herunter. Bei immerhin schon 32°…
Im Konvoi, wir nun als letzte, ging es mit 6km/h weiter, die Brückenwärter überholten uns mit ihrem Motorroller immer rechtzeitig genug, um die nächste Brücke zu klappen oder zu drehen, so dass der Konvoi immer nur kurze Zeit warten musste.
Dies ist nun ein ganz anderes Fahren als alles bisherige. Extrem enge Brückendurchfahrten, zum Teil in Kurven gelegen, ständige Anpassung an die Geschwindigkeit der Vordermänner (und ..frauen) – man muss permanent konzentriert sein, ähnlich wie beim Autofahren auf der Autobahn…
Um 14:00 Uhr lassen wir es für heute genug sein und legen uns an eine Liegestelle in Compascuum – klingt spannend und nach alten Römern, ist aber ein ganz langweiliger holländischer kleiner Ort mit lauter gleich aussehenden ordentlichen Einzelhäusern mit gepflegten Vorgärten und Supermarkt, Friseur und Kiosk als Ortsmitte. Links und rechts eine mit Häusern bestandene Straße, das wird nicht so ruhig, wie wir es gewöhnt sind. Der Kanal lädt nicht zum Bade, was bei den endlich sommerlichen Temperaturen von 36°, im Bootsinneren bis zu 40°, recht schade ist. Zum Glück haben wir ja eine Dusche an Bord, die kann auch kalt.
Dass die Holland-Etappe nicht zu den schönsten zählen würde, wussten wir aber vorher, ich hatte das ja auch schon bei der Abholfahrt vor zwei Jahren erlebt.