Seeschiff Elodie – jetzt erst so richtig!

Denn die Ostsee ist ja nur eine kleine Badewanne. Jetzt aber heißt es: Über die Unterelbe hinaus auf den atlantischen Ozean! Bzw. auf einen kleinen Zipfel davon, die Nordsee. Bzw. auf einen kleinen Zipfel davon, die deutsche Bucht. Hier öffnet sich das Schleusentor zur Unterelbe:

Das Fahrtgebiet fühlte sich für uns viel „meeriger“ an als die Ostsee, weil wir nun auch mal ohne „Land in Sicht“, nur mit dem weiten Horizont um uns herum, unterwegs sein sollten. Und natürlich mit anderen Schiffen, Leuchttürmen und Tonnen. Denn über die gekennzeichneten Außenstrecken von Elbe, Weser und Jade brauchten wir nicht hinaus.

Ein Anruf bei „Elbe Traffic Cuxhaven“ hat uns die Bestätigung gebracht, dass wir besser auf der „linken Seite“, also südlich des grünen Tonnenstriches, hinausfahren, also schon gleich bei Brunsbüttel das Hauptfahrwasser kreuzen. Denn auf der nördlichen Seite, das hatten wir schon am Tage zuvor regelmäßig in den über den UKW-Seefunk verbreiteten „Nachrichten für Seefahrer“ gehört, war ein Sperrgebiet eingerichtet, dass man nur im Hauptfahrwasser hätte passieren können.

Wir sind in drei Etappen nach Wilhelmshaven gefahren, über die hinweg das Wetter zum Glück einigermaßen stabil blieb. Am ersten Tag von Brunsbüttel nach Cuxhaven. Das ist nicht besonders weit, und bei ruhigem Wetter vor allem wegen der großen und nicht so großen, aber schnellen Schiffe etwas spannend. Aber dank AIS werden ja fast alle Schiffe der Umgebung mit Kurs und Geschwindigkeit in der PC-Seekarte dargestellt, da kann man leicht ausrechnen, wann man sicher die Fahrrinne passieren kann. So sah das vor Cuxhaven aus:

Wellen gibt es auch – bei 2 bis 3 Windstärken nicht vom Wind, aber von den Schiffen, gelegentlich ziemlich durcheinander. Die kleinen, schnellen Schiffe, wie z.B. die Lotsenversetzer, machen die größten und nehmen die wenigste Rücksicht.

Das oben schon erwähnte Sperrgebiet hat mit der gerade wieder mal angelaufenen nächsten Elbvertiefung zu tun, für die seit einigen Monaten die Baggerarbeiten aufgenommen wurden, nach langen Rechtsstreitigkeiten der Stadt Hamburg. Hier ist der Bagger „Bonny River“ bei der Arbeit, der den Schlick vom Boden saugt und in seinem Bauch sammelt – das übrige Wasser kommt anscheinend vorne wieder heraus. Dann fährt der Bagger zu den Verklappungsstellen, um dort den Schlick wieder abzuwerfen. Immer in der Hoffnung, dass ihn der nächste Flutstrom nicht wieder in die Elbe schiebt…

Der Bagger fing dann auch noch an, gerade vor uns herumzumanövrieren, so dass wir ihn über Funk fragen mussten, wie wir ihn passieren sollten. Die Funkgespräche mit „den großen“ sind aber immer, genau wie mit den Schleusen, sehr hilfsbereit und freundlich. Profis halt…

In Cuxhafen haben wir im Amerikahafen festgemacht. Da gibt es in einer Ecke ein paar vereinsbetriebene Sportbootstege, ansonsten wird er von mittelgroßen Seeschiffen genutzt, bis hinauf zu Autotransport-Feedern. (Feeder sind die Schiffe für Ost- und Nordsee und Küstengewässer, die die Waren den ganz großen Überseefrachtern heranbringen). Der Hafen bot viel Leben, aber schön war er nicht – statt zur Elbe hinaus schaute man vor eine große rostige Spundwand, und die Bewegungen der großen Schiffe hielten einen die ganze Nacht über in kräftiger Bewegung.

Der breite rote Katamaran auf dem ersten Bild ist eine Lotsenstation – so einer liegt draußen vor den Einfahrten in die Elbe- und Weserfahrrinnen durchs Watt. Die Lotsen sind dort auf Wache und werden mit kleinen Lotsenversetzbooten an die einlaufenden großen Schiffe herangebracht bzw. von den auslaufenden abgeholt.


Am zweiten Tag dann der große Schlag: 9 Stunden am Stück dauerte die Fahrt hinaus aus der Elbefahrrinne, um das Scharhörner Watt herum, quer durch die Fahrrinne der Außenweser am Leuchtturm „neue Weser“ und „roter Sand“ vorbei und über die Fahrrinne der Jade wieder hinein nach Wilhelmshaven. Und 9 Stunden ist Elodie gelassen und zuverlässig gelaufen wie eine Straßenbahn… Wir haben uns zunächst immer schön am Rand der Fahrrinne gehalten:

Vorbei an der Kugelbaake von Cuxhafen, den nach Neuwerk aufbrechenden zahlreichen Wattwanderern, Robbenbänken, Neuwerk und Scharhörn.

Dann ging es in südwestlicher Richtung zum Leuchtturm Roter Sand. Das ist der wohl meistabgebildete und nachgebaute Leuchtturm von Deutschland, schon länger außer Betrieb, aber als Denkmal mit hohem Aufwand erhalten. Er drohte nämlich, auf dem weichen Grund zu versinken bzw. zu kippen. Man hat dann mit einem riesigen Kran einen noch riesigeren Stahlmantel über ihn gestülpt, in den Wattboden gedrückt, und ein Betonfundament hineingegossen. Heute kann man – wenn gerade nicht mal wieder eine Behörde Sicherheitsbedenken anmeldet – darin auch übernachten, zu zweit ohne Strom und Heizung für gute 400 Euro pro Person, nachdem man von einem Schiff abgesetzt wurde. Immerhin findet man genug Lebensmittel vor, um sich mit Petroleum ein Abendesse zu kochen. Die Nachfrage ist groß, und wenn man Glück hat, muss man länger bleiben, weil die See zum Abholen zu rau ist.

Und weil der Leuchtturm geradezu ein Sinnbild für Küste und Seefahrt ist, war Maria ganz schön aufgeregt, ihn aus der Nähe zu sehen zu bekommen, und wir haben denn auch eine Ehrenrunde um ihn herum gedreht.

Die Querung des Weserfahrwassers war ganz unspektakulär, da ist ja im Vergleich zur Elbe kaum Schiffsverkehr – wir haben nur eines am Horizont gesehen. Inzwischen, unser Zeitplan ist sehr genau aufgegangen, war Niedrigwasser, so dass wir wenig Querströmung hatten und dann im Jadefahrwasser wieder mit dem Strom des auflaufenden Wassers nach Wilhelmshaven fahren konnten. Auf diese Weise haben wir bei mäßiger Drehzahl, ca. 1700 U/min, Fahrtgeschwindigkeiten von bis zu 16km/h erreicht, sowohl elbabwärts als auch Jadeaufwärts.

Statt einer späten Ankunft in Wilhelmshaven haben wir dann kurzfristig entschieden, dass wir nur bis Hooksiel fahren. Dort liegen die Häfen hinter einer kleinen Schleuse, und die letzte Schleusung ist um 20:00 Uhr – das war also erst 2 1/2 Stunden nach Niedrigwasser. Der Hafen- und Schleusenmeister sagte uns aber am Telefon, dass die Hafenzufahrt, wenn man sich an die grüne Tonne und dann an die Kennzeichnung an Land (zwei hintereinander stehende Dreiecke, deren Spitzen genau überein stehen müssen) hält, man problemlos herankommt.

Wie gut, dass wir das gemacht haben: Hinter der Schleuse eröffnete sich uns ein völlig unerwartetes kleines Paradies… In Gestalt einer Seenlandschaft, ganz ruhig, mit Insel und Wald ringsum, und doch mit Salz- oder zumindest Brackwasser. Wir sind dann gar nicht mehr in den Hafen durchgefahren, in dem der Hafenmeister uns schon einen Steg zugewiesen hatte, sondern haben gleich da im See geankert. Welch‘ ein Kontrast zu den letzten Stunden! In aller Stille senkt sich die Dämmerung über das stille Wasser, das außer von unserem Bad durch nichts aus der Ruhe gebracht wird.

Sehr entspannt, glücklich und mit uns und der Welt zufrieden genießen wir den Abend. Elodie hat uns sicher getragen, unsere Motorreparatur können wir nun endgültig für gelungen erklären, und die nächsten Wochen werden wir gemächlicher angehen lassen.


Am dritten Tag dann wartete noch die Reststrecke von Hooksiel nach Wilhelmshaven auf uns. Bei noch ruhigem Wetter ganz lässig in zwei Stunden zu erledigen. Wir schleusen in der vollsten kleinen Schleuse unserer Reise aus und passieren das neue Containerterminal von Wilhelmshaven, „deutschlands einzigem Tiefwasserhafen“, wie Niedersachsen ihn bewirbt, weil die Jade ohne Ausbaggerungen tief genug ist, um auch von den Giganten der Meere angelaufen zu werden.

Fällt am zweiten Bild evtl. etwas auf? Richtig – da ist gar kein Schiff am Kai. Als ich noch in Butjadingen lebte, wurde dieser Hafen geplant. Damals hatte sich Niedersachsen mit Hamburg zusammen getan, um den Bremern eins auszuwischen, die zugleich die Bremerhavener Containerkajen immer länger und länger ausbauten und sehr gute Anlandungszahlen erreichten. Hamburg hat allerdings recht bald erkannt, dass das Projekt wirtschaftlicher Unsinn ist, so hat denn Niedersachsen alleine weiter hunderte Millionen in das Projekt gesteckt. Und da stehen sie heute, die Kräne, Van Carriers, Lagerflächen, auf Unmengen von Sand und Beton in die Meerenge zwischen Wilhelmshaven und Butjadingen hineingebaut, und warten auf Schiffe. Nun ja, ab und zu kommt ja auch eins, und jetzt, 15 Jahre später, hat man auch schon begonnen, die bisher eingleisige Diesel-Bahnstrecke von Bremen nach Wilhelmshaven auszubauen, so dass man schon 2023 dann genug Bahnkapazitäten hat, um die Containermassen mit der Bahn nach Hamburg zu schaffen.

Nach dieser Passage laufen wir schon bald in den Marinehafen ein, an dessen Ende die gigantisch große Seeschleuse uns in den Binnenhafen tragen soll, und es wird uns auch über Telefon eine zusätzliche Sportbootschleusung um 13:30 versprochen.

Die findet auch statt. Leider ohne uns, denn jetzt, zum großen Glück NACH den Abenteuern der letzten Tage, lässt uns das Ruder von Elodie im Stich. Wir können nur noch im Kreis fahren, die Ruderanlage (Steuerung) ist ausgefallen!! So treiben wir im zum Glück schiffsverkehrslosen Marinahafenbecken, von den Soldaten auf den umliegenden großen Kriegsschiffen verwundert beobachtet, dahin, nochmal zum Glück ist es fast windstill, so dass wir uns kaum von der Stelle bewegen. Maria wedelt den beiden Sportbooten, die eigentlich nach uns in die Schleuse laufen sollten, mit dem roten Tuch im unteren Halbkreis ein „manövrierunfähig“ zu. Knut zerrt im Schlafzimmer die Matratze vom Bett, um den Hydraulikzylinder des Steuerruders in Augenschein nehmen zu können. Dort, wie vermutet, findet sich die Ursache, auch wenn das eigentlich unmöglich ist:

Das Steuerruder wird innen von einem auf der senkrecht nach außen führenden Welle sitzenden Hebel betätigt. Am Ende dieses Hebels greift der Hydraulikzylinder an. Dafür sitzt auf dem Ende der Stange, die er ein- und ausfährt, ein Steuerkopf mit Auge. Der Kopf ist mit mindestens 20 Gewindegängen auf die Stange geschraubt. Der Kopf selbst kann sich nicht drehen, die Zylinderstange aber schon – allerdings gibt es keine wirkende Kraft, die sie zum drehen bringen kann. Und doch hatte sich genau dieser Steuerkopf komplett von der Stange abgeschraubt – trotz Kontermutter. So lag nun das eine Ende des Steuerzylinders nutzlos frei im Raum, und das Ruder machte, was es wollte – und es will leider immer zur Seite ausschlagen, sobald es angeströmt wird. So ging’s dann im Kreis.

Nun war klar, dass wir das Problem selbst und recht bald lösen könnten. Über Kanal 16 gibt Knut noch eine Warnmeldung „an alle Seefunkstellen im Bereich Marinehafen / Vorhafen Seeschleuse“ ab. Es meldet sich auch kurz darauf die Besatzung des kleinen Seenotkreuzers aus Wilhelmshaven, die wir aber beruhigen und versprechen, dass wir in 30min wieder manövrierfähig sein werden. Die Frage, ob sie das MRCC, das ist das Maritime Rescue Contol Center, in Bremen verständigen sollen, verneine ich dankend, einen großen Seenotrettungskreuzer brauchen wir nun wirklich nicht. Trotzdem beruhigend, zu erleben, wie schnell und effektiv in diesen Seegewässern reagiert wird, wäre uns das draußen in der Elbfahrrinne passiert, wären wir froh gewesen!

Da wir den Zylinder im Frühjahr noch bei einem Hydraulikdienst zum Abdichten gelassen hatte, vermute ich, dass die die Kontermutter nicht wieder festegezogen hatten. Aber selbst dann bleibt die Frage, warum sich die Stange zwanzig mal um sich selbst gedreht hat!? Wie auch immer… Die Demontage der Kopfblende am Bettkopfende, die Demontage des Auges vom Hebel des Ruders, die Montage desselben auf der Zylinderstange und das Wideranmontieren auf dem Ruderhebel war in zwanzig min. erledigt und wir konnten die Warnmeldung aufheben.

Nettes kleinen Nebenereignis: Während wir da so im Hafen dümpelten, kam ein Ausflugsschiff auf uns zu. Die gute alte Etta von Dangast! Und immer noch stand Anton Tapken auf der Brücke, dem ich in meinen Zeiten in Butjadingen die eine oder andere Kinder- oder Behindertengruppe mit an Bord gegeben hatte. Er fragte uns, ob er uns helfen kann und bot an, uns mit nach Dangast zu schleppen, auch ihn konnten wir aber dankend beruhigen, dass wir zurecht kämen. Für seine Fahrgäste war das sicher eine nette kleine Einlage auf der ansonsten nicht durchgehend spannenden Ausflugsfahrt…

Mit der nächsten, planmäßigen 15-Uhr-Schleusung ging es dann hinein in den Binnenhafen, ganz durch bis zum sehr preisgünstigen und doch am schönsten gelegenen Hafen Cramer, in dem wir die nächsten zwei Nächte verbringen wollten. Ein Mitarbeiter sucht uns dann noch zwei 16mm Federringe heraus, mit denen ich die Verschraubung des Ruderhebels mit der Kontermutter noch sichern will, damit sich so ein Missgeschick nicht widerholen kann.

Wieder ist unser Liegeplatz, was die Aussicht betrifft, sehr schön, wir schauen über den gesamten Binnenhafen bis hin zur, abends auch schön beleuchteten, Kaiser Wilhelm-Brücke, dem drehbaren Wahrzeichen von Wilhelmshaven, die aber nur für Segelboote mit Masten geöffnet werden muss. Am Abend schauen wir Möven, Kiebitzen und einem Austernfischer zu, die auf dem Steg kleineres Meeresgetier Knacken und Verzehren. Besonders Seeschwalben sind ungeheuer streitlustig, sie gönnen sich gegenseitig nichts und attackieren auch hemmungslos die viel größeren SIlbermöwen. Ein tolles Schauspiel!